Gewissensfreiheit von Apothekern gefährdet
- Wer: Andreas Kersten
- Wo: Berlin, Deutschland
- Team: Dr. Felix Böllmann
Thema | Gewissensfreiheit
In Berlin stand der Apotheker Andreas Kersten vor Gericht. Er konnte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, in seiner Apotheke in Berlin, die ‚Pille danach‘ zu verkaufen. Daraufhin leitete die Apothekerkammer Berlin 2018 rechtliche Schritte gegen ihn ein.
Das erstinstanzliche Urteil fiel dabei zu Kerstens Gunsten aus. Dies war das erste Mal, dass ein deutsches Gericht feststellte, dass es einem Pharmazeuten freistehe, beim Verkauf von gewissen Produkten in Einklang mit seinem Gewissen zu handeln. Die Apothekerkammer legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Im Juni 2024 sprach das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Andreas Kersten endgültig frei. Zugleich aber stellen die Richter die Gewissensfreiheit von Apothekern in Frage.
ADF International unterstützte Kerstens Fall von Beginn an als wichtigen Präzedenzfall in Deutschland.
„Niemand soll gezwungen sein, sich zwischen seinem Beruf und seinem Gewissen entscheiden zu müssen. Persönliche Überzeugungen und das Gewissen betreffen alle Bereiche des Lebens und können im beruflichen Bereich nicht einfach abgelegt werden.“
- Dr. Felix Böllmann, Leiter der europäischen Rechtsabteilung für ADF International
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Mehr InformationenZusammenfassung des Falls
Vor seiner Pensionierung besaß Andreas Kersten eine Apotheke in Berlin, wo er in Einklang mit seinem Gewissen die ‚Pille danach‘ nicht verkaufte. Dies begründete er damit, dass durch die ‚Pille danach‘ die Einnistung der befruchteten Eizelle verhindert und so der Tod eines ungeborenen Kindes herbeigeführt werden kann.
Im Juli 2018 wurde Kersten bei der Apothekerkammer Berlin angezeigt, die daraufhin Klage beim Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Berlin einreichte. Ihm wurde vorgeworfen, dass er sich zweimal weigerte die ‚Pille danach‘ zu verkaufen, dieses Präparat nicht vorrätig in seiner Apotheke führte und Patientinnen Zettel mit Alternativen zur ‚Pille danach‘ oder zu Kontrazeptiva gab.
Am 26. November 2019 gab das Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Berlin Andreas Kersten recht und bekräftigt die Gewissensfreiheit des Apothekers. Bis auf eine „Warnung“ wegen eines geringfügigen Verstoßes gegen Datenschutzrecht, den Andreas Kersten nicht bestritt und bereits vor Jahren abgestellt hatte, sprach das Gericht ihn vom Vorwurf der Berufspflichtverletzung frei. Dabei entscheid ein deutsches Gericht erstmals zugunsten eines Apothekers, der aus Gewissensgründen davon absah, bestimmte Produkte zu verkaufen.
„Das erstinstanzliche Urteil war eine klare Aussage, dass der Apotheker das Recht hatte, nach seinem Gewissen zu handeln und dabei seine Berufspflicht nicht verletzt hat. Das Recht auf Gewissensfreiheit muss auch das Recht beinhalten, dementsprechend zu handeln. Eine freie Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass ihre Bürger nach ihrem Gewissen handeln“, sagt Felix Böllmann, Leiter der europäischen Rechtsabteilung für ADF International.
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Mehr InformationenGewonnen und doch verloren
Daraufhin legte die Apothekerkammer Anfang 2020 Berufung gegen das Urteil ein. Der Fall wurde am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg weiterverhandelt.
Erst vier Jahre später, am 26. Juni 2024, fiel das endgültige Urteil. Nach zweieinhalbstündiger Verhandlung und zweistündiger Beratung hinter verschlossenen Türen sprach das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Andreas Kersten vom Vorwurf der Berufspflichtverletzung frei. Die Berufung der Apothekerkammer wurde kostenpflichtig zurückgewiesen.
Zugleich stellte das Gericht aber in der Urteilsbegründung das Recht auf Gewissensfreiheit von Apothekern in Frage. Kersten sei ein „unvermeidlicher rechtlicher Irrtum“ unterlaufen, als er glaubte vom Verkauf der ‚Pille danach‘ aus Gewissensgründen absehen zu dürfen. Er habe es also nicht besser wissen können, doch die individuelle Gewissensfreiheit sei dem Versorgungsrecht untergeordnet. Ein Apotheker, der die Abgabe bestimmter Präparate nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne, müsste den Konflikt dadurch lösen, dass er seinen Beruf aufgebe. Obwohl die problematische Urteilsbegründung außer für Herrn Kersten keinerlei Bindungswirkung hat, bleibt die Befürchtung, dass staatliche Stellen immer seltener bereit sind, Gewissensentscheidungen für das ungeborene Leben zu respektieren. Zukünftig könnten sich in Berlin also selbstständige Apotheker zwischen ihren Überzeugungen, ihrem Gewissen, und ihrem Beruf entscheiden müssen.
„Nach einem Verfahren durch mehrere Instanzen und nach über 5 Jahren Unsicherheit ist jetzt klar, dass Andreas Kersten in seiner Gewissensnot nicht schuldhaft gegen Berufspflichten verstoßen hat. Darüber freuen wir uns. Skandalös ist aber die Begründung des Urteils. Das Gericht führte zunächst nur mündlich aus, dass sich Apotheker zukünftig zwischen ihren Überzeugungen und ihrem Beruf entscheiden müssen. Wir werden die Begründung genau prüfen,“ sagte Dr. Felix Böllmann.
Gezwungen, seinen Beruf aufzugeben
Aus gesundheitlichen Gründen beschloss Kersten bereits kurz nach Eröffnung des Verfahrens 2018, seine Apotheke zu schließen. Doch er blieb während des langwierigen Gerichtsprozesses Mitglied der Apothekerkammer und schloss eine Rückkehr in den Beruf nicht aus.
Nachdem die Richter im letztinstanzlichen Urteil die Auffassung vertreten hatten, er müsse sich zwischen seinem Gewissen und seiner Berufsausübung entscheiden, kam Kersten zu dem Schluss, dass er aus Gewissensgründen seinen Beruf als Apotheker nun endgültig nicht mehr ausüben kann.
Im Mai 2025 bat Kersten die Apothekerkammer seine 1984 erteilte Approbation als Apotheker zurückzunehmen. Er gab an, aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Fall, den Beruf aus Gewissensgründen nicht mehr ausüben zu können.
„Es ist bedauernswert, dass Apothekern das Recht auf Gewissensfreiheit abgesprochen wird, wenn sie eine lebensachtende Haltung einnehmen. Die sogenannte ‚Pille danach‘ zu verkaufen, kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, weil sie möglicherweise ein Menschenleben beenden könnte. Daher sehe ich mich gezwungen meine Approbation als Apotheker aufzugeben“, begründet Kersten seine Entscheidung.
Gewissensfreiheit im Rechtstaat und internationalen Recht
Niemand sollte aufgrund seines Gewissen in einem freien demokratischen Staat dazu gezwungen werden, den Beruf zu wechseln.
„Das Oberverwaltungsgericht Berlin setzt sich mit seiner Argumentation in direkten Widerspruch zum internationalen Recht. Grundrechte müssen effektiv garantiert werden, nicht nur auf dem Papier. Aber die Argumentation des Gerichts lässt der Gewissensfreiheit keinen Raum. Gewissenskonflikte müssen im Rechtsstaat, der sowohl Gewissens-, als auch Berufsfreiheit garantiert, anders als durch einen Berufswechsel gelöst werden“, so Böllmann weiter.
Die Begründung des Gerichts wirkt auch im Hinblick auf die offizielle Handlungsempfehlungen der Bundesapothekerkammer „Rezeptfreie Abgabe von oralen Notfallkontrazeptiva (‚Pille danach‘)“ fragwürdig. Darin werden dem Apotheker umfassende Aufklärungs- und Beratungspflichten auferlegt – zur Sicherstellung der richtigen Anwendung und damit zum Schutz der Bevölkerung.
„Zu den umfassenden Beratungspflichten passt es nicht, Apotheker unter Berufung auf den Versorgungsauftrag dazu zu zwingen, jedes Präparat auf Nachfrage und ungeachtet etwaiger Bedenken zu verkaufen,“ sagt Böllmann. „Niemand darf zu einer Handlung gezwungen werden, die seinem Gewissen deutlich widerspricht – vor allem nicht, wenn es um Leben und Tod geht.“
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