Weltweit sehen sich Christen zunehmend Kritik und Anfeindungen ausgesetzt – immer häufiger auch Verboten und Klagen. In Europa und vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz gab es bis vor kurzem kaum Probleme. Allerdings greift man auch hier Christen bei sensiblen Themen wie Sexualität, Familie oder Lebensschutz persönlich an. Das Grundrecht der Meinungs- und Glaubensfreiheit wird selbst im Herzen Europas rasch in Frage gestellt.
Die Begeisterung in ihren Worten hört man nicht nur, man spürt sie. Für sie ist jedes Leben schützenswert. Dafür steht sie ein. Dafür kämpft sie. Allerdings nicht mit Waffen oder Worten. Jeder Mensch habe das Recht, seine Überzeugung im öffentlichen Raum frei zu äußern, sagt sie. Als Verantwortliche der Gebetsinitiative „40 Tage für das Leben”, mache sie lediglich von diesem Recht Gebrauch. Wie das funktioniert? „Wir beten in Stille”, erklärt sie. Ihre Augen leuchten.
Pavica Vojnović lebt mit ihrem Mann in Pforzheim, Deutschland. Seit 2018 engagiert sich die gebürtige Kroatin für den Schutz ungeborenen Lebens. In ihrer katholischen Pfarre konnte sie viele Gleichgesinnte gewinnen, die sie dabei unterstützen. Zweimal im Jahr beten sie 40 Tage lang vor der lokalen Niederlassung einer Abtreibungsorganisation. Friedlich. Freundlich. Sie spricht jene Frauen, die in die Beratungsstelle gehen, nicht von sich aus an. Wenn sie zu den Betenden blicken, schenkt ihnen Pavica lediglich ein Lächeln. Die Aktion läuft beschaulich, friedlich ab. Deshalb gab es zu Beginn auch kein Problem mit der Abtreibungsorganisation. Man duldete Pavica, das zuständige Ordnungsamt gewährte die stille Versammlung vor dem Haus. Doch dann mischte sich die Politik ein.
Was man überhaupt noch sagen darf
Beim Ordnungsamt wurde interveniert. Widerspruch gegen Abtreibung – und sei er noch so friedlich – konnte man nicht gewähren lassen. Zuerst musste die Gruppe die Straßenseite wechseln. Dann verbannte man sie außer Sichtweite. Das nahm Frau Vojnović nicht hin. Das Beten lasse sie sich nicht verbieten. Sie klagte, der Prozess ist im Gange. Dr. Felix Böllmann, deutscher Anwalt und Experte für Rede- und Meinungsfreiheit bei ADF International sieht das Recht auf der Seite der Betenden. Das Grundgesetz schütze Versammlungsfreiheit, sowie Meinungs- und Glaubensfreiheit. Diese existenziellen Rechte dürften nicht einfach untergraben werden. Letztendlich gehe es in dem Fall darum, ob ein Ordnungsamt darüber ent-scheiden dürfe, was eine „richtige” und was eine „falsche” Meinung sei, so Böllmann. Und das sei mit Sicherheit nicht die Aufgabe von Ämtern.
Der Jurist beschäftigt sich umfassend mit Meinungs- und Glaubensfreiheit. Seiner Erfahrung nach herrsche zunehmend Unsicherheit unter Pastoren, Priestern, Lehrenden, Lebensschützern und Gläubigen, was man öffentlich sagen darf und was nicht.
Die Fälle häufen sich
Das verwundert wenig. Fälle, wie jener der Restaurantbesitzerin Young-Ai Park in Berlin machen europaweit Schlagzeilen. Die Polizei konfiszierte in ihrem Lokal einen Bibelspruch zum Thema Sexualität, den sie in die Auslagen gestellt hatte. Wollte sie provozieren? Nein. Viele Zitate aus der Bibel, zu allen möglichen Lebensbereichen, zieren die Wände des Restaurants. Man bezichtigte sie, mit ihrem Bibelschild Hass zu verbreiten und sie wurde aufgrund so genannter „Hassrede“ angezeigt. Das Gericht bestätigte im Endeffekt jedoch ihr Recht auf Meinungs- und Religionsfreiheit. „Wir hoffen, dass die Entscheidung in diesem Fall uns daran erinnert, dass Meinungsfreiheit ein Grundrecht ist, das jedem gewährt werden muss“, sagte Dr. Felix Böllmann.
Rede- und Meinungsfreiheit ist sowohl durch internationales Recht als auch durch die Verfassungen und Grundgesetze einzelner Länder geschützt. Auch so genannte “Hassrede”-Gesetze hebeln dieses Menschenrecht nicht aus.
Drei Trends
Dennoch macht sich Verunsicherung darüber breit, was man noch sagen darf. Drei aktuelle Trends tragen dazu bei: digitale Meinungszensur, gezieltes Anprangern von unbeliebten Meinungen und Personen als Methode des politischen Meinungskampfs, sowie strategische Gerichtsfälle, die lange Zeit geschätzte Grundrechte infrage stellen.Zuerst zur digitalen Zensur: Unternehmen wie Facebook, Twitter oder Google, entscheiden selbstständig, welche Inhalte sie zensieren und welche nicht. Grundsätzlich der Meinungsfreiheit verpflichtet, wur-den sie zunehmend von traditionel-len Medien und Regierungen in die Pflicht genommen, die Verbreitung so genannter „Hassrede” und „Fake News” einzudämmen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sind zum Beispiel das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz aus dem Jahr 2017 oder das Abkommen, das EU Kommissarin Jourova 2016 mit großen Internetunternehmen stellvertretend für die Europäische Union traf. Damit lagerten die EU Staaten zensierende Maßnahmen bequem an private Unternehmen aus. Das eigentliche Problem besteht dann im fehlenden Rechts- bzw. Berufungsweg. Wurde erst einmal eine gewisse Meinung als verletzend eingestuft, gibt es kaum ein rechtliches Mittel, um dagegen vorzugehen. Es bleibt den Internet-Giganten vorbehalten, welche Meinung sie zulassen und welche nicht. Löschen sie aber bestimmte Inhalte nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen, drohen ihnen empfindliche Strafen durch den Staat. Dieser Mechanismus gepaart mit der Quasi-Monopolstellung der großen Plattformen lässt ihre Entscheidungen einer Zensur gleichkommen.
Christen würden Hass fördern
Ein weiteres Phänomen ist das “Naming and Shaming”, zu Deutsch Benennen und Anprangern. Diese Taktik wird gerne von Lobbygruppen gewählt. Vor allem in den USA fand sie eine starke Verbreitung. So betreibt dort eine politische Aktivistengruppe eine so genannte Hassliste. Darauf werden Organisationen vermerkt, die nach Auffassung der Gruppe “Hass” verbreiten. Neben dem Klu-Klux-Klan und anderen rechtsradikalen Gruppen wurden aber in den vergangenen Jahren vor allem christliche Lebensschutz- und Familienorganisationen auf die Liste gesetzt. Deren Sicht auf Abtreibung und Ehe fördere den Hass und andere fühlten sich verletzt, so die Argumentation. Einflussreiche Medien übernehmen dann diese Anschuldigungen ohne eigene Prüfung. Eine Taktik, die bereits auch in Europa angewandt wird. Sie richtet großen Schaden an, da sich niemand gerne mit einer „Hassgruppe“ sehen lässt.
Strategische Rechtsfälle
Die strategische Prozessführung nutzt Gerichtsfälle, um geltendes Recht in eine bestimmte Richtung abzuändern. Dabei wird ein Fall bis zum Höchstgericht in einem Land getrieben, um eine Präzedenz für eine Uminterpretation bestehender Gesetze zu schaffen. In Deutschland wäre dafür das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Thema assistierter Suizid ein Paradebeispiel. Oft verwendet man solche Gerichtsfälle auch, um eine Signalwirkung an alle zu erzielen. Egal ob es dann zu einer Verurteilung kommt oder nicht, die Botschaft ist klar: Wer auch immer es wagt, eine vermeintlich falsche Position zu beziehen, bekommt Probleme. Für manche scheint der Lebensschutz eine „falsche“ Position darzustellen. Für andere, wie etwa Frau Vojnović ist das Eintreten für ungeborene Kinder selbstverständlich. Eine freie, demokratische Gesellschaft lebt vom Diskurs unterschiedlicher Weltsichten. Besonders dann, wenn es um kontroverse Themen geht. Wer sich verweigert oder die Diskussion unmöglich macht, untergräbt letztendlich Grundrechte wie Meinungs- und Glaubensfreiheit. Dazu gehört auch, stille Beter des Platzes zu verweisen und ihre Versammlungsfreiheit nur an bestimmten Orten zu akzeptieren. In diesem Pforzheimer Fall geht es nämlich letztendlich gar nicht darum, ob Frau Vojnović und ihre Pfarrgemeinde ein paar Meter weiter entfernt von der Abtreibungsorganisation stehen. Es geht vielmehr darum, ob Behörden bürgerliche Grundrechte akzeptieren und schützen oder nach eigenem Ermessen interpretieren. Man muss Pavica Vojnovićs Gebet nicht gutheißen. Aber jeder sollte Interesse daran haben, dass sie es im öffentlichen Raum verrichten darf.
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