- ALS Patient will Schutzbestimmungen gegen assistierten Suizid und Euthanasie kippen – Fall „prioritär“ behandelt.
- ADF International intervenierte am EGMR für den rechtlichen Schutz des Lebens
- „Wie unterscheiden wir zwischen der Person, die wir überzeugen von der Brücke herunterzukommen und der Person, die wir durch einen Arzt sterben lassen?“
Straßburg (28. November 2023) – Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verhandelte heute über den Schutz vor assistiertem Suizid in Ungarn. Der ungarische Staatsbürgers Daniel Karsai, der an einer fortschreitenden neurodegenerativen Krankheit leidet, klagt gegen Ungarn und dessen Verbot von Suizidbeihilfe. Der assistierte Suizid ist in Ungarn wie in den allermeisten Ländern illegal.
ADF International intervenierte in dem Fall. Ungarns Verbot des assistierten Suizids ist im Einklang mit dem Recht auf Leben in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Artikel 2) und der Verpflichtung, das Leben jedes Menschen zu schützen. Diesen rechtlichen Schutz gilt es aufrecht zu erhalten.
Im Schriftsatz von ADF International betonen die Anwälte die Rolle von Schutzbestimmungen: „Wenn solche Bestimmungen aus dem Gesetz entfernt werden, entsteht ein gefährliches Szenario: Schutzbedürftige Menschen geraten dann leicht unter Druck, ihr Leben zu beenden. Viele befürchten dann, (ungeachtet der objektiven Situation und der tatsächlichen Außensicht) eine Belastung für Angehörige, Pflegende oder einen Staat zu sein, dem die Mittel fehlen.“
„Wir können nicht unseren grundlegenden Schutz für die Menschenrechte aufgeben.“
„Die Erkrankung von Herrn Karsai erfordert unser größtes Mitgefühl. Gleichzeitig können wir nicht unseren grundlegenden Schutz für die Menschenrechte aufgeben. Ungarn ist nach den europäischen und internationalen Menschenrechtsgesetzen verpflichtet, das menschliche Leben zu schützen. Das bedeutet auch, gerade besonders verletzliche Menschen vor sozialem Druck zu bewahren,“ erklärte Jean-Paul Van De Walle, Jurist von ADF International, der bei der mündlichen Verhandlung des Gerichtshofs am 28. November in Straßburg anwesend war.
„Das Recht auf Leben ist unantastbar und ist die Basis für alle anderen Menschenrechten. Es gibt kein sogenanntes ‚Recht auf Sterben‘. Weltweit erlaubt nur eine winzige Minderheit von Ländern den assistierten Suizid. Überall dort, wo die Praxis erlaubt ist, reichen die gesetzlichen „Sicherheitsvorkehrungen“ nicht aus, um Missbräuche zu verhindern. Besonders leiden darunter schwache Mitglieder der Gesellschaft, darunter ältere Menschen, Behinderte und Menschen, die an psychischen Krankheiten oder Depressionen leiden.
Wir alle betrachten Selbstmord als eine Tragödie, die es zu verhindern gilt, und dieselbe Haltung muss auch für den assistierten Suizid gelten. Jemanden zu töten, kann niemals die Lösung sein“, so Van De Walle weiter.
Suizid vor Gericht
Der Gerichtshof behandelt den Fall als Priorität. Es wird erwartet, dass das Gericht in Kürze sein Urteil fällt.
Daniel Karsai leidet an amyotropher Lateralsklerose (ALS). Der 46-jährige möchte assistierten Suizid in Anspruch nehmen, bevor sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. In Ungarn ist es eine Straftat, bei einem Suizid Beihilfe zu leisten, – unabhängig ob dies in Ungarn oder im Ausland geschieht.
Schutz für das Recht auf Leben
ADF International betonte gemeinsam mit der britischen NGO „Care Not Killing“, dass es statt einem Recht auf Sterben ein Recht auf Leben gibt. Die gezielte Tötung eines Menschen ist niemals „sicher“, deswegen schützen europäisches und internationales Recht das Leben.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diese Unsicherheiten und Gefahren im Urteil Mortier v. Belgien (2022) anerkannt. Der Gerichtshof stellte fest, dass Belgien im Zusammenhang mit der Tötung von Godelieva de Troyer gegen das Recht auf Leben verstoßen habe. Die körperlich gesunde De Troyer wurde von einem Arzt euthanasiert. Daraufhin verurteile der EGMR Belgien wegen der „mangelnden Unabhängigkeit der Kontrollkommission“. ADF International vertrat Tom Mortier, der gegen die Euthanasie seiner eigenen Mutter Godelieva geklagt hatte.
In dem von ADF International eingereichten Schriftsatz heißt es: „Trotz angeblicher „Sicherheitsvorkehrungen“ und eines „strengen“ Rechtsrahmens werden junge Erwachsene wegen „unheilbarer Depressionen“ euthanasiert und ältere Menschen wegen altersbedingter Symptome.“
Legalisierung führt zu Missbrauch
Von den 46 Mitgliedsstaaten im Europarat haben nur sechs den assistierten Suizid legalisiert. Der Weltärztebund hat Euthanasie und assistierten Suizid konsequent und kategorisch als unethisch abgelehnt. Länder, die Euthanasie legalisiert haben, erlauben nun die vorsätzliche Tötung von Kindern, körperlich Gesunden und Personen, die nicht ihre Zustimmung gegeben haben.
In der Resolution 1859 (2012) hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats unmissverständlich festgestellt: „Euthanasie im Sinne der vorsätzlichen Tötung eines abhängigen Menschen durch eine Handlung oder Unterlassung zu seinem angeblichen Nutzen muss immer verboten sein.“
„Sobald wir als Gesellschaft der vorsätzlichen Tötung Tür und Tor öffnen, gibt es keinen logischen Haltepunkt mehr. Wie unterscheiden wir zwischen der Person, die wir überzeugen von der Brücke herunterzukommen und der Person, die wir durch einen Arzt sterben lassen? Der Staat hat die Pflicht, den grundlegenden Wert des menschlichen Lebens zu schützen. Wir können den rechtlichen Schutz nicht abschaffen und somit Würde und Wert des Menschen untergraben“, sagte Van De Walle nach der Verhandlung in Straßburg.