- Die Staatsanwaltschaft fährt, trotz Bestätigung des einstimmigen Freispruchs durch das Berufungsgericht, mit der strafrechtlichen Verfolgung der finnischen Parlamentarierin Päivi Räsänen und des Bischofs Pohjola fort
- Die Staatsanwaltschaft fordert hohe Geldstrafen, sowie die Zensur des Bibel-Tweets der Abgeordneten
HELSINKI (12 Januar 2023) – Die finnische Staatsanwaltschaft wird gegen das zweite einstimmige Gerichtsurteil Berufung einlegen, durch das eine finnische Abgeordnete und ein Bischof vom Vorwurf der „Hassrede“ freigesprochen wurden, nachdem sie ihre Glaubensüberzeugungen geteilt hatten. Die Staatsanwaltschaft fordert Zehntausende von Euro an Geldstrafen und besteht darauf, dass die Veröffentlichungen von Räsänen und Pohjola zensiert werden. Am 14. November 2023 hatte das Berufungsgericht Helsinki alle Anklagepunkte gegen Räsänen und Pohjola abgewiesen, mit der Begründung, dass es „auf der Grundlage der in der Hauptverhandlung vorgelegten Beweise keinen Grund hat, den Fall in irgendeiner Hinsicht anders zu beurteilen als das Bezirksgericht“. Der Oberste Gerichtshof muss nun entscheiden, ob er sich mit dem Fall befassen wird.
„Nachdem ich vor zwei Gerichten einstimmig freigesprochen wurde, habe ich keine Angst vor einer Anhörung vor dem Obersten Gerichtshof. Auch wenn mir bewusst ist, dass jeder Prozess Risiken birgt, würde ein Freispruch durch den Obersten Gerichtshof einen noch stärkeren positiven Präzedenzfall für das Recht aller Menschen auf freie Meinungsäußerung und Religionsfreiheit schaffen. Und sollte der Gerichtshof beschließen, die Freisprüche der unteren Gerichte aufzuheben, bin ich bereit, die Rede- und Religionsfreiheit notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu verteidigen“, sagte die Abgeordnete Päivi Räsänen.
Der Prozess selbst wird zur Bestrafung
Die ehemalige Innenministerin war 2021 wegen „Hassrede“ angeklagt worden, weil sie in einem Tweet von 2019, in einer Radiodiskussion von 2019 und in einer kirchlichen Broschüre von 2004 ihre auf dem Glauben basierenden Ansichten über Ehe und Sexualethik geteilt hatte. Bischof Juhana Pohjola wurde angeklagt, weil er Räsänens Broschüre vor fast zwei Jahrzehnten für seine Gemeinde veröffentlicht hatte. Ihr Fall erregte vergangenes Jahr weltweites Medieninteresse, da Menschenrechtsexperten ihre Besorgnis über die Bedrohung der Meinungsfreiheit in Finnland zum Ausdruck brachten.
„Das Beharren des Staates auf der Fortsetzung der Strafverfolgung trotz eines so eindeutigen und einstimmigen Urteils des Bezirksgerichts und des Berufungsgerichts in Helsinki ist alarmierend. Menschen jahrelang vor Gericht zu zerren, sie stundenlangen polizeilichen Verhören zu unterziehen und Steuergelder zu verschwenden, um die tief verwurzelten Überzeugungen von Menschen zu kontrollieren, hat in einer demokratischen Gesellschaft keinen Platz. Wie so oft bei „Hassreden“-Prozessen ist der Prozess selbst zur Strafe geworden“, sagte Paul Coleman, Geschäftsführer von ADF International, der Räsänens rechtliche Verteidigung unterstützt.
13 Stunden Polizeiverhöre zu biblischen Überzeugungen
Die polizeilichen Ermittlungen gegen Räsänen begannen im Juni 2019. Als aktives Mitglied der finnischen lutherischen Kirche hatte sie sich auf Twitter/X an die Leitung ihrer Kirche gewandt und deren offizielle Unterstützung der LGBT-Veranstaltung „Pride 2019“ in Frage gestellt, begleitet von einem Bild mit Bibelversen aus dem neutestamentlichen Römerbrief. Daraufhin wurden weitere Ermittlungen gegen Räsänen eingeleitet, die auf ein kirchliches Büchlein zurückgehen, das Räsänen vor fast 20 Jahren verfasst hatte.
Über mehrere Monate hinweg musste Räsänen insgesamt dreizehn Stunden lang polizeiliche Verhöre über ihren christlichen Glauben über sich ergehen lassen – unter anderem wurde sie mehrfach von der Polizei aufgefordert, ihr Bibelverständnis zu erklären.
Das Bibel-Tweet-Verfahren
Im April 2021 erhob die finnische Generalstaatsanwältin eine Anklage mit drei separaten Anklagepunkten gegen Räsänen wegen „Aufwiegelung gegen eine Minderheit“. Die Anklage fällt im finnischen Strafgesetzbuch unter den Abschnitt „Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Räsänen und Bischof Pohjola mussten sich am 24. Januar und 14. Februar 2022 zwei Tage lang vor dem Bezirksgericht Helsinki verantworten. Die Bibel stand im Mittelpunkt des Prozesses, als die Staatsanwältin zu Beginn des Tages Bibelverse vortrug, an denen sie etwas auszusetzen hatte.
Am 30. März 2022 sprach das Bezirksgericht Helsinki die Angeklagten einstimmig frei mit der Begründung, dass es nicht Sache des Bezirksgerichts sei, biblische Begriffe zu interpretieren. Die Staatsanwaltschaft legte daraufhin im April 2022 Berufung gegen das “nicht schuldig“ Urteil ein. Der Fall wurde dann vom 31. August bis 1. September 2023 vor dem Berufungsgericht in Helsinki verhandelt. Am 14. November 2023 bestätigte das Gericht den Freispruch von Räsänen und Pohjola.
Räsänen ist seit 1995 Mitglied des finnischen Parlaments. Von 2004-2015 war sie Vorsitzende der Christdemokraten und von 2011-2015 war sie Innenministerin. In dieser Zeit war sie für die kirchlichen Angelegenheiten in Finnland zuständig.