- Letzter Prozesstag für finnische Parlamentarierin Päivi Räsänen und Bischof Pohjola
- Die ehemalige finnische Innenministerin muss sich wegen der Äußerung ihrer Überzeugungen vor Gericht verantworten
HELSINKI/ WIEN (15 Februar 2022) – Die finnische Parlamentarierin Dr. Päivi Räsänen und Bischof Juhana Pohjola standen gestern zum zweiten Mal vor Gericht in Helsinki. Der langjährigen Parlamentarierin und ehemaligen Innenministerin sowie dem Bischof wird „Hassrede“ vorgeworfen, weil sie – unter anderem auf Twitter – öffentlich ihre Überzeugungen zu Ehe und Sexualethik geäußert haben. Die abschließenden Argumente wurden am 14. Februar gehört. Ein Urteil wird für März erwartet.
„Der ursprünglich als Strafverfahren begonnenen Prozess hat sich im Verlauf mehr und mehr zum Schauplatz einer theologischen Auseinandersetzung entwickelt. Immer wieder ging es darum, welche christlichen Überzeugungen in Finnland geäußert werden dürfen und welche nicht. Es ist unglaublich, dass dieser Prozess in einem modernen europäischen Land stattfindet und nicht in einer religiösen Theokratie“, sagte Lorcán Price, Rechtsanwalt bei ADF International, der dem zweiten Verhandlungstag beiwohnte, um die Verteidigung Räsänens und des Bischofs zu unterstützen.
Christliche Lehren auf dem Prüfstand
In ihrem Schlussplädoyer argumentierte die Staatsanwaltschaft, dass die Verwendung des Wortes „Sünde […] schädlich“ sein könne. Später erklärte sie: „Die Bibel steht hier nicht vor Gericht, wohl aber Räsänens Worte…“, „Der Apostel Paulus steht hier nicht vor Gericht, wohl aber Räsänen.“ Die Staatsanwaltschaft forderte hohe Geldstrafen, die nach Ansicht der Verteidigung im Falle eines Schuldspruchs unangemessen wären.
Räsänens Verteidigung, die von ADF International unterstützt wird, argumentierte, dass ein Schuldspruch Räsänens die Redefreiheit in Finnland erheblich beeinträchtigen würde. Die Äußerungen Räsänens seien Ausdruck der christlichen Lehre. Sie zitierten das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Rechtssache Handyside gegen das Vereinigte Königreich. Der Gerichtshof hatte damals entschieden, dass auch Meinungen und Ansichten, selbst wenn sie den Staat oder irgendeinen Teil der Bevölkerung verletzen, schockieren oder beunruhigen könnten, geteilt werden dürfen. Denn, die Redefreiheit sei ein Eckpfeiler einer freien Demokratie. Abschließend resümierte die Verteidigung, dass sich der Prozess zu einer theologischen Debatte über das Thema „Was ist Sünde?“ entwickelt habe. Dies sei keine Frage, über die das Gericht zu entscheiden habe.
Angeklagt wegen glaubensbasierter Ansichten
Im April 2021 hatte die finnische Generalstaatsanwältin drei Strafanzeigen gegen Räsänen erhoben: zum einen wegen des Inhalts einer Broschüre, die Räsänen 2004 geschrieben hatte, zum anderen wegen ihrer Teilnahme an einer Debatte in einer Radiosendung (im Jahr 2019), sowie wegen eines Tweets mit einem Bild von Bibelversen, den Räsänen an ihre Kirchenleitung gerichtet hatte. Bischof Pohjola wird ebenfalls angeklagt, weil er die Broschüre veröffentlicht hat, die Räsänen vor über 17 Jahren für seine Kirchengemeinde erstellt hatte.
„Der Großteil des Prozesses drehte sich bisher um die Rolle der Bibel in der Gesellschaft“, sagte Paul Coleman, Geschäftsführer von ADF International und Autor von „Zensiert: Wie Europäische Hassredegesetze die Redefreiheit bedrohen”. „Die Staatsanwältin versuchte am ersten Tag zu erklären, dass es in diesem Fall nicht um Glauben oder die Bibel gehe. Dann zitierte sie jedoch Bibelverse aus dem Alten Testament und beendete den Tag mit einem Kreuzverhör des Bischofs über Details der christlichen Theologie. Und das alles vor einem weltlichen Gericht. Finnische Prozessanwälte, die seit Jahren jeden Tag vor Gericht stehen, sagten, sie erinnerten sich nicht, dass die Bibel jemals auf diese Weise bei einer Anklage verlesen worden sei. Ich würde den Tag als einen modernen Inquisitions- oder Ketzerprozess bezeichnen. Die „Ketzerei“ bestand darin, dass sie traditionelle christliche Glaubenslehre ausgesprochen und nicht der neuen sexuellen Orthodoxie gehuldigt hatten.“
Unterstützung für die Angeklagten wächst international
Wie bereits am ersten Prozesstag am 24. Januar, versammelten sich am 14. Februar wieder Menschenmengen vor dem Gerichtsgebäude in Helsinki, um ihre Unterstützung für die Politikerin und den Bischof auszudrücken. In Ungarn versammelten sich am vergangenen Wochenende über 3000 Menschen vor der Finnischen Botschaft in Budapest, um gegen die Anklagen zu demonstrieren.
Pastor Andrew Brunson, dem in der Türkei aufgrund seines Glaubens eine Gefängnisstrafe drohte, reiste eigens nach Finnland, um Räsänen vor Beginn ihres Prozesses zu begrüßen. Er brachte ein von Christen aus aller Welt unterzeichnetes Unterstützungsgebet mit. Die Aktion wurde von der NGO Family Research Council aus Washington D.C. organisiert.
Mehrere hochrangige Mitglieder des US-Kongresses, darunter der texanische republikanische Abgeordnete Chip Roy, schrieben kurz vor dem Prozess einen offenen Ermutigungsbrief an Räsänen und Pohjola: „Im Geiste christlicher Solidarität schreiben wir Ihnen, um Ihnen in dieser schwierigen Zeit unsere Unterstützung, Ermutigung und unsere Gebete anzubieten. […] Frau Räsänen und Bischof Pohjola, wir haben Sie in den vergangenen Monaten in unseren Gebeten begleitet, während wir Ihre Fälle von den Vereinigten Staaten aus verfolgten – in dem Wissen, dass diese Herausforderung, vor der Sie stehen, nicht nur juristisch, sondern auch geistlich ist.“
„Jeden Tag erhalte ich Briefe von Menschen, die mir sagen, dass sie durch diesen Fall ermutigt werden. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich glaube, dass Gott am Werk ist“, sagte Päivi Räsänen im Vorfeld des Prozesses im Interview mit The Federalist.
Polizeiliche Verhöre wegen Bibel-Tweet
Die polizeilichen Ermittlungen gegen Räsänen begannen im Juni 2019. Als aktives Mitglied der finnischen lutherischen Kirche hatte sie sich auf Twitter an die Leitung ihrer Kirche gewandt und deren offizielle Unterstützung der LGBT-Veranstaltung „Pride 2019“ infrage gestellt, begleitet von einem Bild mit Bibelversen aus dem neutestamentlichen Buch der Römer. Nach diesem Tweet wurden weitere Ermittlungen gegen Räsänen eingeleitet, die auf ein kirchliches Pamphlet zurückgehen, das Räsänen vor fast 20 Jahren verfasst hatte. In den letzten zwei Jahren wurde Räsänen mehrfach von der Polizei zu ihren christlichen Überzeugungen befragt, wobei sie häufig aufgefordert wurde, ihr Bibelverständnis zu erläutern.
Zwei der drei Anklagen gegen Räsänen wurden erhoben, obwohl die Polizei nachdrücklich empfohlen hatte, die Strafverfolgung nicht fortzusetzen. Räsänens Äußerungen verstießen auch nicht gegen die Richtlinien von Twitter oder des nationalen Rundfunks, weshalb sie auf deren Plattformen weiterhin frei zugänglich sind.
Räsänen ist seit 1995 Mitglied des finnischen Parlaments, war von 2004 bis 2015 Vorsitzende der Christdemokraten und von 2011 bis 2015 Innenministerin, in dieser Zeit war sie für Kirchenangelegenheiten in Finnland zuständig.